Carl Gibson:
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur
Dokumente, Bilder, Quellen, Hintergrund-Informationen
aus der Oppositionszeit 1976 -1979 und
danach im Westen bis 1982
Impressionen
aus dem Alltagsleben im Banat
Jubiläums-Dokumentation:
30 Jahre seit der Gründung der ersten „Freien
Gewerkschaft rumänischer Werktätiger“ (SLOMR).
Diese Dokumentation soll dem mit den Details der
Rumänischen Geschichte noch nicht vertrauten bundesdeutschen Leser die Materie
näher bringen und das Hauptthema der „Symphonie der Freiheit“
veranschaulichen.
„Agent provocateur“ im
Zeichen des Kreuzes und der bundesdeutschen Flagge gegen Hammer und Sichel bzw.
Nationalchauvinismus.
Oppositioneller Auftakt im
Kampf der Symbole: Carl Gibson im Februar 1976
kostümiert als Deutscher
Ordensritter beim Faschingsumzug in Sackelhausen im Banat – und Tage davor auf
dem Ball des Nikolaus-Lenau-Lyzeums in Temeschburg.
Auf dem Rücken der Ausspruch
des Eisernen Kanzlers Otto von Bismarck: „Die Deutschen fürchten nur Gott,
sonst nichts auf der Welt“ als Ausdruck
deutschpatriotischer, liberaldemokratischer Gesinnung und
Entschlossenheit.
Diese etwas leichtfertige
Herausforderung der kommunistischen Diktatur aus der Deutschen Minderheit
heraus – eigentlich ein unüberlegter Dummenjungenstreich - hätte leicht ins Auge gehen können. Als
„antisozialistische Agitation“ verfolgt hätte die rumänische Nationalisten und
Kommunisten provozierende Aktion eine Strafe von 5 – 15 Jahren Gefängnishaft
nach sich ziehen können. Der „Faschismus-Vorwurf“ galt besonders für Deutsche.
Das Eintreten für die deutsche Identität und das Festhalten daran auch bei
Assimilierungsdruck war nicht selten eine Vorstufe zum Einstieg in die
antikommunistische Opposition bzw. in das Engagement für Menschen- und
Bürgerrechte im real existierenden Sozialismus.
Im Hintergrund ist der Giebel
eines typisch donauschwäbischen Siedlerhauses zu erkennen. (Beschreibung in Bd.
2: Gegen den Strom. Deutsche Identität und Exodus.)
Die Zentrale der Rumänischen
Kommunistischen Partei in Temeschburg
Bestätigung der
Betriebsleitung. Bis zum „Rauswurf“ nach einem öffentlichen Schauprozess
(Symphonie-Kapitel: Am Pranger / Tribunal der Arbeiter) am 13. 07. 1977 war
Carl Gibson in der Trikotwarenfabrik „1. Juni“ als „nicht qualifizierter
Arbeiter“ beschäftigt. Damit sicherte er sich die Teilnahme an den Abendkursen
des „Nikolaus Lenau-Lyzeums“ in Temeschburg, wo er die 11. Klasse absolvierte.
Abendschüler am
Nikolaus-Lenau-Lyzeum, 11. Klasse im Schuljahr 1976/77. Mit antisozialistischer
Polemik im „SPIEGEL – Stil“ begann hier das allmähliche Hineinschlittern in die
kommunismuskritische Bürgerrechtsbewegung.
Innere und äußere Auflehnung:
Melancholischer Rebell auf Konfrontationskurs mit dem realsozialistischen
System. Sozial geächtet und vogelfrei im Jahr 1978. „Parasitären Elementen“
ohne Arbeitsplatz drohte in der Ceausescu-Diktatur jederzeit eine spontane
Verhaftung bzw. eine Aburteilung gem. Dekret 153, das so genanntes „antisozialistisches
Verhalten“ ohne Gerichtsverhandlung mit bis zu 6 Monaten Gefängnishaft
bestrafte. Das Dekret diente der Einschüchterung der Bevölkerung und sicherte
dem Staat unbezahlte Arbeitskräfte.
(Details u. a. in dem
Symphonie-Kapitel: „Ein kurzer Prozess – oder: vom sozialistischen
Ostrakismus“.)
Wenige Tage vor der Gründung
der freien Gewerkschaft SLOMR in Temeschburg nahm Carl Gibson eine Tätigkeit
als „Hilfsarbeiter“ im Elektro-Unternehmen ELBA auf, um die Gründung der
oppositionellen Vereinigung auch formal als „Werktätiger“ angehen zu können.
Die Details, wie dieses wichtige, später bei der Ausreise in den Westen
geschleuste Dokument „erschlichen“ werden musste bzw. die peinlichen Konsequenzen
aus dem Vorgang werden im zweiten Band geschildert.
Betriebsausweis ELBA, März
1979 unmittelbar vor der SLOMR – Gründung in Temeschburg.
Urteil in rumänischer
Sprache.
Gerichtsgebäude in Temeschburg
Urteil des Gerichts von
Temeschburg vom 06. April 1979: 6 Monate Haft für Carl Gibson und Erwin Ludwig!
Wofür? Für das Formen einer Gruppierung mit „antisozialistischem Charakter“,
deren Bezeichnung „Freie Gewerkschaft rumänischer Werktätiger“ gezielt
verschwiegen wird!
Bundesdeutsche Gerichte haben
ähnliche Fälle der DDR-Unrechtsjustiz wieder aufgehoben. Vom Unrechtsstaat
„kriminalisierte“ Personen wurden in der Bundesrepublik rehabilitiert.
Die bisherigen Regierungen
des EU-Landes Rumänien haben es bisher versäumt, das Unrecht der
kommunistischen Diktatur nach 1945 aufzuarbeiten und wieder gutzumachen. Carl
Gibson und Erwin Ludwig warten auch heute noch auf ihre Rehabilitierung.
Zum Lesen des Textes bitte auf 200% hoch-zoomen!
Jakob und Anna Maria Gibson
erhalten die Einwilligung des Gefängniskommandanten, ihren Sohn „Karol“ kurz
vor ihrer Ausreise in den Westen einmal zu besuchen.
Entlassungsschein aus dem
Gefängnis Popa Sapca in Temeschburg (Vorder- und Rückseite). Das Dokument wurde
bei der Ausreise in einer Zigarettenpackung aus Rumänien geschmuggelt.
(Kapitel: „Kent“).
Rumänischer Reisepass für
Personen ohne Staatsbürgerschaft
Der heiß ersehnte und schwer
erkämpfte Freibrief in die Freiheit: Ein Reisepass für „Personen ohne
Staatsangehörigkeit.“ Die durch Geburt erworbene, rumänische
Staatsangehörigkeit musste gegen Zahlung einer Gebühr (etwa ein
Monatseinkommen) noch vor der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland
abgelegt werden. Das Passfoto wurde bei der Einreichung der so genannten großen
Formulare im Jahr 1977 den Behörden des Innenministeriums übergeben. Der Pass
wurde 6 Wochen nach Carl Gibson
Haftstrafantritt ausgestellt. Die Ausreise in den Westen erfolgte aber erst
nach verbüßter Haft bzw. unmittelbar nach der Entlassung aus dem Gefängnis im
Oktober 1979.
„Einblicke“ in die nicht mehr ganz heile „Welt von
Gestern“ im deutschen Dorf im Banat
Politische Nachhilfe aus
Hamburg. Carl Gibson, leidenschaftlicher „DER SPIEGEL“-Leser, informiert sich
über den „Homo novus aus dem Reagenzglas“ (über die damals sensationelle
„künstliche Befruchtung“) und übt sich ein in ironisch-satirischer
Sozialismus-Kritik.
Links an der Wand:
Mannschaften und Stars der westdeutschen Fußball-Bundesliga. Der Blick war nach
Westen ausgerichtet.
Das Alltagsleben fand in der
Wohnküche statt. Lange nach Feierabend, wenn die Eltern längst schliefen, wurden
bei albanischem Weinbrand und Biermann-Liedern Literatur- und Dissidenz - Gespräche
geführt. Nach den Beschlüssen der KSZE-Konferenz 1975 in Helsinki regten sich
überall in Osteuropa bürgerliche Oppositionsbestrebungen im Kampf für
Menschenrechte.
Mit den Eltern im
Mittelzimmer im Geburtshaus in Sackelhausen. Spontane „Abschiedsfotos von Daheim“,
aufgenommen nach der Ausreisezusage in die Bundesrepublik im Jahr 1977 bzw.
nach der Aushändigung der so genannten „großen Formulare“. Die damals noch relativ
„neue“ Photographie in Farbe“ löste den Schwarz-Weiß-Kontrast ab. Bis zur
tatsächlichen Ausreise im Oktober 1979 sollten noch zwei bittere Jahre ins Land
gehen.
Das Interieur verweist
darauf: Trotz Trockenklo und anderen „sozialistischen Mangelphänomenen“ – ein
Armenhaus war das Banat nicht! Haus und Grundbesitz der Ausreisenden wurden vom
Staat zwangsmäßig zu 10 Prozent des Verkehrswertes aufgekauft. Möbelstücke,
Kunst oder sonstige Wertgegenstände durften aus Rumänien „nicht“ ausgeführt
werden.
Gelangweiltes Posieren im
elterlichen Schlafzimmer, in der „guten Stube“. Im Spiegel zu erkennen: Ein
typischer Kachelofen, den es auch in der „Kammer“ gab, ein geeignetes Mittel,
um die Stimmung heimisch und die harten, langen Winter im Banat erträglich zu
machen.
Als Carl Gibson auf dem
Fußboden herumkrabbelte und in deutschen Illustrierten kramte, waren Präsident
J.F. Kennedy gerade ermordet und bald darauf Kanzler Adenauer bestattet worden.
Im Radio kam das Sandmännchen vom Bayerischen Rundfunk. Noch wusste der kleine
Junge nicht, dass er in einer deutschen Exklave in Rumänien lebte – und nicht
daheim irgendwo in Deutschland. Das Erwachen kam später.
In der „Kammer“ vor dem Hausaltar.
Neben dem Bett unter dem Fenster rostet ein nicht entschärfter Blindgänger aus
dem 2. Weltkrieg vor sich hin – symptomatisch für die Gesamtexistenz: Ein Leben
auf dem Pulverfass!
In dieser „Geborgenheit“
verbrachte Carl Gibson die Jahre seiner Kindheit, während Großvater Johann aus
der Zeit der Weltkriege erzählte.
Nicht abgelichtet: Die stets
gut gefüllte „Speis“ (Speisekammer) mit den Räucherschinken und Bratwürsten von
der Hausschlachtung, mit Schmalzständern, dem Sauerkraut in der Bütt, dem
„Dunstobst“ in den Regalen, dem selbst erzeugten Wein und Schnaps. Hof und Garten
halfen bei der Existenzsicherung wesentlich mit. Die Autarkie war ein Wert an
sich – und sie war in einigen Haushalten bis zur Perfektion entwickelt worden.
Zuhause in Sackelhausen - in
der Diele vor dem Kücheneingang in „antisozialistischer“ Protestbekleidung.
„Langhaarige“ riskierten auf
offener Straße von der Miliz (Polizei) jederzeit eingefangen und kahl geschoren
zu werden. Willkür in allen Lebensbereichen und eklatante Verletzungen der
Menschenrechte (vor allem der Würde) kennzeichnen eine Diktatur.
Jenseits von Sodom?
Zwischen Rosen und Reben im
Hof – daheim in einer nicht mehr heilen Welt mit den Eltern.
Wer die „Freiheit“ mehr liebt
als sein vertrautes Heim, als Haus und Hof, wem seine nationale Identität, sein
Selbstsein und sein Seelenheil mehr bedeuten als Besitz und Saturiertheit, der
gibt alles Materielle auf und entscheidet sich für Werte, die nicht im Tresor
verstaut werden können. (Symphonie-Kapitel: Von der seltsamen Metamorphose
eines Ideals“.)
Vor dem „Hühnerhof“ und dem
Hinterhaus-Schuppen. Der Drahtesel der Marke „Victoria“ – Made in Germany –
machte die 10-Kilometer-Strecke Sackelhausen – Temeschburg zu einem Vergnügen.
Im Schuppen waren die
Schweineställe untergebracht. So nebenbei wurden jährlich 2 bis 4 Mastschweine
herangezogen. Im Dezember fand die Hausschlachtung statt, die den Fleischbedarf
der Familie über ein Jahr sicherte. Auf dem Misthaufen im Hühnerhof tummelten
sich ein Dutzend glückliche Hühner und ein bunt gefiederter Hahn.
Haus und Hof aus der Gartenperspektive.
Typisches Kolonistenhaus im
Waggonstil. Bei Bedarf wurde noch ein Zimmer angebaut.
Obstbäume, Aprikosen,
Pfirsiche, Kirschen, Birnen, prägen das Bild – Draußen vor der Tür: Akazien –
Alleen in allen Straßen.
Die Ställe im hinteren Hausbereich
wurden ab 1945, nach den Landenteignungen und nachdem der Viehbestand in Dorf
drastisch zurückgegangen war, nicht mehr benötigt.
In Dachboden unter dem Kamin:
Die Selchkammer, wo Schweineschinken und Bratwurst geräuchert wurden.
Nicht zu sehen: Der
Pumpbrunnen und die Bewässerungsanlage für den Garten, wo intensiver
Gemüse-Anbau betrieben wurde. Mutter verkaufte das Gemüse (Kopfsalat, Möhren,
Petersilie, Radieschen etc.) auf dem Temeschburger Markt. Der praktisch
steuerfreie Nebenerwerb war lukrativer als die Fabrik-Arbeit und führte nicht
selten zu bescheidenem Wohlstand.
Vis-a-vis des Schuppens stand
das archaische Trocken-Klo, von den Alten auch „Sekret“ genannt. Die Wege im
Innenhof waren – wie die Dorfwege – mit Pflastersteinen ausgelegt. Rechts ein
langer, außer grün gestrichener Bretter-Zaun.
Carl Gibson – ein
Gezeichneter!? Erstes Personalausweis-Foto in Deutschland, unmittelbar nach der
Ankunft in der Bundesrepublik aufgenommen. Der „ehemalige politische Häftling“
ist auf unter 60 Kilogramm abgemagert – und die Haarpracht ist noch
unfreiwillig kurz.
Für das Auge unsichtbar: Das Kainsmal des Unbehausten, geesundheitliche
Schäden, ein gerade erst diagnostiziertes Magengeschwür, Tinnitus und die noch
nicht absehbaren Schädigungen der Psyche nach der durchstandenen Folter im
Securitate-Verhör.
Als „Zeitzeuge“ in Paris bei
der Liga für Menschenrechte, November 1979, wenige Wochen nach der Ankunft im
Westen – in gefährlicher Aufklärungsmission.
Andersdenkende, die im Exil
weiter opponierten, standen auf der Abschussliste von Securitate und von
Kommandos anderer osteuropäischer Geheimdienste. Sie mussten mit Briefbomben,
tätlichen Attacken, Morddrohungen, Diffamierungen und anderen Schikanen
rechnen. Eine Rückkehr in das Geburtsland (auch nur zu Besuchszwecken) wurde –
wie bei mehreren Unterzeichnern der Temeschburger SLOMR - Gründungserklärung geschehen – den auf Ewig
Stigmatisierten verweigert. (Details: Der ausführlichen Aufklärungskampagne
Carl Gibsons in München bei Radio Freies Europa, wo Top-Terrorist bald darauf
(1981) im Auftrag der Securitate eine 1 000 000 –Dollar-Bombe hochgehen lassen
sollte, in Paris bei der Liga, in London bei „amnesty international“ und in
Berlin mit all ihren Grenzen, Enttäuschungen und Rückschlägen sind mehrere
Symphonie-Kapitel gewidmet.)
An der Berliner Mauer im Jahr
1981 mit dem „Victory“ – Zeichen. Im Hintergrund: Der „Todesstreifen“ und das
Grau des realsozialistischen Alltags. Es herrschte der Kalte Krieg. Ost und
West standen sich unversöhnlich gegenüber – und der Kommunismus schien für 1000
Jahre fest zementiert. Das Kapitel „Allein in der Gedenkstätte Plötzensee“ ist
als „Hommage Carl Gibsons an den deutschen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur
zu verstehen.
Ein Dissident im Fadenkreuz der
im Ausland operierenden Ostblock-Geheimdienste. Exponiert und in Sorge vor dem
Domizil in Rottweil zum Zeitpunkt der UNO-Klage-Erhebung gegen das
Ceausescu-Regime.
Carl Gibson als Journalist
zum Zeitpunkt der UNO-Klage-Erhebung in Genf und unmittelbar vor der Aufnahme
des Studiums an der Universität in Erlangen-Nürnberg.
Die UNO-Klage gegen Ceausescu
in den Jahren 1981-1984 – ein literarisch schwer darstellbares und einer
breiteren Leserschaft kaum zu vermittelndes Thema. Trotzdem: Es musste sein, auch
wenn die „Symphonie der Freiheit“ dadurch schwerer lesbar wurde.
Ganz und gar unpolitisch?
Carl Gibson ist einer von
vier jungen Kunst- und Literatur-Enthusiasten, die die bundesweit erscheinende
Kulturzeitschrift „nomen“ herausbringen. Was aus dem Blatt wurde, beschreibt Carl
Gibson in dem Berliner Literaturalmanach „Tabula Rasa“ 1983.
Ankündigung der UNO-Klage
gegen das kommunistische Regime der Ceausescu-Diktatur in der Brüsseler
Tageszeitung „La libre Belgique“ vom 2. April 1981.
Aufklärung Carl Gibsons über
die Niederschlagung der Freien Gewerkschaft SLOMR und über die anstehende
UNO-Klage gegen Ceausescu in der Zeitschrift „Menschenrechte“ September 1981
bzw. November 1981 (unten).
Eine differenzierte
Erörterung religiöser Verfolgung durch die Securitate in der Ceausescu-Diktatur
findet u. a. in den Symphonie-Kapiteln „Ein Hirte aus dem Bergland“ bzw. „Von
der Freiheit, für seinen Glauben einzustehen“ statt. Das Bildnis des
oppositionellen Baptisten Nicolae Radoi ist weiter unten zu sehen.
Frankfurter Allgemeine
Zeitung vom 15. November 1988. Bericht Carl Gibsons als Leserbrief
veröffentlicht. Die seinerzeit gewählte Überschrift ist symptomatisch für die
Konzeption der „Symphonie der Freiheit“ und wurde deshalb fast identisch als
Untertitel übernommen.
Student in Wien, Stätte
internationaler Politik und damals Tummelplatz östlicher Geheimdienste.
FAZ, Briefe an die
Herausgeber, 9. Mai 1990.
Noch sieben Jahre nach der
Revolution und dem Sturz des Diktators blieben die Kommunisten an der Macht.
Sie verhindern eine Vergangenheitsaufarbeitung und die Rehabilitation der
Dissidenten bis zum heutigen Tag.
Familiärer Hintergrund von Carl Gibson
Dorfkirche in Sackelhausen 25
Jahre nach dem Exodus.
Mehr zur ehemaligen deutschen
Gemeinde im Banat unter:
Als Carl Gibson Sackelhausen
im Herbst 1979 für immer verließ, war der Massen-Exodus noch nicht absehbar.
Bereits fünf Jahre danach war die einst (vor 1945) 4000 Seelen zählende
deutsche Gemeinde nicht mehr vorhanden. Bis auf wenige Nachzügler hatten sich
alle freigekauft und waren in die Bundesrepublik ausgereist.
Katholischer Taufschein
Großvater Johann Ott,
Jahrgang 1900, in Uniform um 1917/18. Seine Berichte aus den beiden Weltkriegen
waren informativ und prägend. Er erlebte einiges und erzählte davon, während
Vater schwieg.
Sein vorgelebtes Ethos:
Anstand und Würde.
Mutter Anna Maria Gibson,
geborene Ott, vor ihrer Flucht nach Waidhofen an der Ybbs in Österreich im
Rahmen der im Herbst 1944 anlaufenden ideologisch motivierten
Repatriierungsaktion „Heim ins Reich“.
Nach dem Zusammenbruch des
Dritten Reiches kehrte sie mit ihren Eltern nach Sackelhausen im Banat zurück.
Ihr zur Wehrmacht eingezogener Bruder Hans Ott geriet bei Budapest in
sowjetische Gefangenschaft und verbrachte – zur Aufbauarbeit verpflichtet - viele
Jahre in Russland.
Vater Jakob Gibson vermutlich
am Vorabend seiner Deportation zu fünfjähriger Zwangsarbeit als deutscher
Zivilist in die Sowjetunion nach Kriwoj Rog.
Er hatte sich dem Treck nach
Westen nicht angeschlossen, wohl in Vertrauen auf stabile politische und
soziale Verhältnisse nach Kriegsende.
Ohne eine persönliche Schuld
auf sich geladen zu haben, wurde er als „Angehöriger der deutschen Minderheit
in Rumänien“ nach Russland verschleppt und dort zu Reparationsleistungsarbeiten
verpflichtet.
Vater todkrank nach der
Entlassung aus der fünfjährigen Deportation im Jahr 1951. Er war kein Säufer
und nicht bei der SS. Seine Krankheit war eine schwere Hypothek für die Familie
und ein determinierender Faktor wie die Ereignisse der jüngsten Geschichte.
Barbara, geb. Buchmann und
Johann Gibson, die Großeltern als Hochzeitsgäste in konservativer Tracht.
Großvater Gibson war „Kleinrichter“ in Sackelhausen, der Büttel, der nach
mittelalterlicher Art mit einer Trommel ausgestattet durch das Dorf zog, um
öffentliche Meldungen kund zu tun.
„Leseratte“ Carl Gibson im
Knabenalter, 1969. Was die Kleine Welt nicht hergab, das bot die Weltliteratur
aus den Regalen der gut ausgestatteten Dorfbibliothek in Sackelhausen.
Ein Einäugiger unter den
Blinden? Oder Elite? Unzufrieden in Schul-Uniform im „Liceul Agricol“ auf der
Ehrentafel als Klassenprimus im Jahr 1975. Mit dem Heranreifen des Bewusstseins
formte sich die sozialkritische Wahrnehmung der Gesellschaft im real
existierenden Sozialismus auf dem Weg in eine Diktatur.
Zeugnis der Mittleren Reife.
Nach achtjährigem Unterricht in „deutscher Sprache“ ging es in den 9. und 10.
Gymnasialklassen ausschließlich in „Rumänisch“ weiter. Neben Französisch war
die Muttersprache „Deutsch“ jetzt eine „Fremdsprache“.
Trotzdem: Wer die offizielle
Berichterstattung in deutscher Sprache lesen wollte, dem stand die überregional
erscheinende Tageszeitung „Neuer Weg“ zur Verfügung. In Temeschburg und im schwäbischen
Umland las man die „Neue Banater Zeitung“, in Siebenbürgen existierten weitere
Blätter und Magazine deutscher Zunge.
Familie Gibson auf deutschem
Boden wieder vereint. Aufgenommen in Schorndorf im Remstal im Spätherbst 1979.
Freunde aus dem Widerstand in den Jahren 1977-1982
Felix, der Musiker, am
Klavier – ein Opfer der „Freiheit“!? Nach stalinistischer Haft und langjähriger
Verfolgung scheiterte er – bereits im freien Westen angekommen – an den
tückischen Heimsuchungen einer verkannten Paranoia.
Er war ein Mensch – und
nichts Menschliches war ihm fremd.
Sein lebenslanges Eintreten
für Menschlichkeit und Menschenrechte findet in der „Symphonie der Freiheit“
eine umfassende Würdigung.
Als Folgerepressalie des
Ungarn-Aufstands im Jahr 1956, der auch auf Temeschburg übergegriffen hatte,
wurde der mit den Aufständischen in Budapest solidarische Georg Weber zweimal
von den rumänischen Kommunisten deportiert. Weber erkrankte in der Haft an
Tuberkulose.
Um ihre „Verbrechen an der
Menschlichkeit“ zu verbergen, untersagten die Kommunisten unter Ceausescu
Ausreisenden das Mitnehmen persönlicher Dokumente, was die Glaubhaftmachung
einzelner Ereignisse und Vorfälle später im Westen erschwerte, ja unmöglich
machte, wenn keine Zeugen benannt werden konnten, die in der Bundesrepublik
lebten. Als mein „Zeugnis“ ankam, war der Freund bereits tot.
SLOMR- Mitbegründer Erwin Ludwig im Jahr 1975
Erwin Ludwig beim Rumänischen Militär in Jassy
(Iasi)
Baptist im Widerstand gegen
die Securitate Nicolae Radoi aus Caransebes, „Paketgenosse“ von Carl Gibson und
Zellen-Gefährte von Erwin Ludwig (rechts im Bild) einige Monate nach der
Entlassung bei einer Familienfeier auf dem Munte Semenic. Radoi war
Gründungsmitglied des „Komitees zur religiösen Selbstverteidigung der
Christen“. Wie andere regimekritische Baptistenprediger (siehe Bericht weiter
oben) wurde er 1981 zur Ausreise in die USA gedrängt.
SLOMR – Mitstreiter, Zeitzeuge
und langjähriger Freund Erwin Ludwig heute – ein erster Blick in die „Symphonie
der Freiheit“, wo das eigene Agieren vor 30 Jahren dokumentiert ist.
Der Lyriker Ion Caraion, inzwischen
ein Klassiker der modernen rumänischen Literatur, fotografiert von Susi Pilet
in Lausanne. Caraion begleitete die UNO-Klage gegen das Ceausescu-Regime mit
viel Sympathie. Er saß 11 Jahre in stalinistischen Gefängnissen und kam als
gebrochener Mann im Westen an. Ob er ein Märtyrer der Freiheit war oder ein zu
Zuträgerdiensten genötigter Informant der Securitate, danach fragt ein
umfassender Essay in der „Symphonie der Freiheit“.
Jesus-Wort und Bibel-Zitat an
der Freiburger Universität – zugleich Leitmotiv der „Symphonie der Freiheit“
und richtungweisend für die Vergangenheitsaufarbeitung und -bewältigung
totalitärer Systeme.
Der deutsche Friedhof in
Sackelhausen heute, 25 Jahre nach dem Exodus.
Für alle Zeiten verlassen und
versiegelt – die Grabstätte der Familie Ott aus Sackelhausen.
Bonus oder Malus? Schicksale
aus dem Osten Europas werden nicht immer verstanden, obwohl viele Millionen
Bundesbürger aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten im Osten stammen.
Braucht Zukunft Herkunft? Vieles ist verschüttet und bleibt verschüttet, wenn
Zeitzeugen schweigen, statt zu reden.
„verschleppt geboren“ – ein
Schicksal unter vielen nach dem Zweiten Weltkrieg.
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